KÜNSTLERHAUS

BETHANIEN

Ausstellung

Takashi Arai

mirrors/testaments

Bilder, die sich mit dem Leben und dem Tod – und den Schwellensituationen dazwischen – beschäftigen, rühren an unsere größten Ängste angesichts der Endlichkeit des Seins und der eigenen Vergänglichkeit. Die Fotografie mit ihrer nun fast 200-jährigen Geschichte ist nicht das erste Medium, das eingesetzt wurde, um den Tod zu bannen, ihn abzuwehren oder auszuhalten. Aber keine andere Bildform hat seit seiner Erfindung um 1839 eine vergleichbare Auseinandersetzung in solcher Vielfalt an Anwendungen, Bildstrategien und Techniken hervorgebracht. Viele davon haben mit den spezifischen Eigenschaften der Fotografie zu tun: Einerseits wird ihr zugeschrieben, dass sie einen Schnitt durch Raum und Zeit lege und einen Moment festhalte, zum anderen werden die Bilder als unmittelbare Abbilder der Wirklichkeit wahrgenommen.

In der Ausstellung „mirrors/testaments“ des japanischen Künstlers Takashi Arai (geb. 1978 in Kawasaki, Japan) geht es jedoch nicht um das physische Vergehen und das Bedürfnis, im Bild weiterzuleben, sondern um die Vorstellung einer gegenwärtigen Existenz zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Die Daguerreotypie – die erste fotografische Bildform, die die Konturen der Welt auf einer versilberten Kupferplatte zu bannen vermochte – ist für Takashi Arai dabei von besonderem Interesse. Die lange Belichtungszeit bedeutet, dass die Porträtierten sich über einen längeren Zeitraum nicht bewegen dürfen. Das Verweilen ist von großer Bedeutung für Arai, da somit eine besondere Beziehung zwischen Fotografen und Porträtierten hergestellt wird, das die Bildproduktion zu einer gemeinsamen Erfahrung macht, die sich über das voyeuristische Abbilden erhebt. Dieser stille Dialog transportiert sich durch die verspiegelte Oberfläche des Bildträgers von der Aufnahme des Bild über dessen Entwicklung bis hin zur Betrachtung, da der Fotograf und auch die Betrachtenden zu jeder Zeit mit im Bild sind und diesen Dialog fortsetzen.

Arai hat sich während seiner Zeit im Künstlerhaus Bethanien mehrfach mit den Porträtierten getroffen. Während dieser Treffen wurden nicht nur die Fotografien aufgenommen, sondern auch Tonaufnahmen. Nach einer Reihe von Treffen und inoffiziellen Interviews wurden die Teilnehmer*innen gebeten, ihre imaginären letzten Worte in ihrer Muttersprache vor einem Mikrofon zu verlesen. Was alle Porträtierten und Interviewten gemeinsam haben, ist, dass sie aus Palästina stammen und heute in Berlin leben. Die aufgenommenen Stimmen wurden von den Rezipient*innen überprüft, auf Wunsch neu aufgenommen oder bearbeitet und in hochauflösende digitale Tondateien gemastert.
Dieses Verfahren geht auf eine persönliche Erfahrung Arais zurück, bei der er aufgrund einer schweren Krankheit gezwungen war, seinen letzten Willen zu verfassen. Der Gedanke, Worte an die Hinterbliebenen zurückzulassen hat Arais Arbeit nachhaltig geprägt. Er erkannte, dass das Verfassen seiner letzten Worte kein Akt der Verzweiflung ist, sondern vielmehr ein Ausdruck der Kontemplation und der emotionalen Offenbarung.

„mirrors/testaments“ konzentriert sich nicht nur auf die Vergangenheit der Teilnehmer*innen, sondern auch auf ihre Gegenwart und Zukunft. Das Vorstellen und Erzählen ihrer letzten Worte könnte unsere translokale und generationenübergreifende Vorstellungskraft durch die universelle Wahrheit, dass jeder von uns aufhören wird zu existieren, anregen. Indem wir den Stimmen und Testamenten der Unbekannten lauschen, stellen wir uns unseren eigenen Tod vor, d.h. die Zukunft unserer Nachkommen.

AUSSTELLUNG
13.09. – 06.10.2024
Di - So: 14 - 19 Uhr
Eintritt frei

ERÖFFNUNG
12.09.2024
19 Uhr

KÜNSTLERPORTRAIT
Takashi Arai