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I am Your Window
Foto: Sera Yu Wen Chen
Der Cyberspace hat die Macht, zu kollabieren. Die Tiefe der Bedeutungen vereinfacht sich zu einer einzigen Ebene; der Fluss der Ideen wird zu eindimensionalen Gedanken; das Drängen und Ziehen menschlicher Liebesbeziehungen wird zu einem einfachen „Swipe“ degradiert.
Wenn die Möglichkeiten schrumpfen und die Dimensionen zusammenbrechen, wird die bloße Darstellung allumfassend. Ungeachtet ihres befleckten Rufs in der Kunstgeschichte hat die Repräsentation im Bereich der Kapitalismuskritik eine einzigartige Kraft. Hyeejin Baes Praxis offenbart und repräsentiert unter dem Deckmantel der sinnlichen Attraktivität die Natur des kollabierenden Cyberspace und beweist gleichzeitig, dass „eye candies“ manchmal schwer zu verdauen sind.
Das Internet löst Synästhesie aus. Wenn Informationen im Cyberspace kollabieren, tun dies auch die Sinne. Mukbang zum Beispiel versorgt alle Sinne mit visuellem Input in der einfachen Form eines Youtube-Videos. In einer Zeit, in der wir gewohnheitsmäßig synthetisiert werden, wird unsere sensorische Aufmerksamkeit jedoch getrübt. Unsere Augen beginnen zu riechen, zu hören, zu schmecken und zu urteilen. Hyeejin Bae kommentiert das zeitgenössische Phänomen des Augen-Urteils und des visuellen Denkens scharfsinnig. Ihre aus Lebensmitteln gefertigten Skulpturen und Installationen sind nicht nur essbar, sondern auch allgemein konsumierbar, sei es durch unsere Augen, Telefone oder unser zusammengebrochenes sensorisches System als Ganzes. Ihre aktualisierten Schokoladen-Torsi in der Ausstellung fügen der Gleichung ein Element der Lust hinzu: Wenn eine emotionale Begierde wie sexuelles Verlangen im physischen Bereich landet, welche Sinnesleistung ist dann vorrangig?
Abgesehen von den Sinneseindrücken lässt der Cyberspace auch den Prozess der Dialektik zusammenbrechen, indem er uns oft dazu zwingt, entweder die These oder die Antithese zu wählen, wodurch die Möglichkeit einer eventuellen Synthese völlig ausgeschlossen wird. Das Video „Yes or No“ ist eine ausführliche Warnung zu diesem Thema. Indem es das Wischen eines Fingers nachahmt, bewegen sich Bilder und Optionen nach links und rechts und beschleunigen sich allmählich bis zu einem Punkt, an dem es fast mechanisch wird. Das Video von Hyeejin Bae zeigt, dass die erzwungene Beschleunigung der Wahrnehmung die wohl am meisten praktizierte Methode zur Verhinderung einer vollständigen Dialektik ist. Auch hier scheint ihre Methode, das Problem darzustellen, auf den ersten Blick eine reine Repräsentation zu sein, aber sie ist äußerst genau und beschreibt, womit wir täglich konfrontiert sind. Die Macht der Untertreibung im digitalen Zeitalter zeigt sich hier in vollem Umfang.
Das Ausstellungsdesign bezieht sich auch auf den Begriff „Exhibitionist“, der Bae fasziniert. Die Künstlerin verbindet die Begriffe „Ausstellung“ und „Exhibitionist“, indem sie einen komplexen Raum schafft, der widersprüchliche Realitäten aufweist, wenn man ihn von außen (beiläufig verführen) und von innen (eindringlich enthüllen) betrachtet. Von außen betrachtet, sehen Passant*innen sofort ein schaufensterähnliches Layout, das als eine Art Werbung interpretiert werden kann, die zeigt, welche Verführungen sich dahinter verbergen. Auf der anderen Seite der Fenster sind die Dinge jedoch nicht so perfekt, wie sie angepriesen werden. Hier zeigt uns die Exhibitionistin (Künstlerin) deren schmierige Süße und beißende Bitterkeit. Die Schokoladenskulpturen in Form von Torsi, die Baes Tinder-Dates nachempfunden sind, sind zerbrochen und verstreut. Man kann diese zerbrochenen Pralinen noch mit enormen Details zu ihrer ursprünglichen Köstlichkeit zusammensetzen – fast eine umgekehrte Objektivierung von Männern. Um die Torsi herum gruppieren sich zwei Text-Skulpturen „Calling me: Cutie pie“ und “Calling me: Little puppy“ – Spitznamen, die Hyeejin Bae von ihren Dating-Partnern erhalten hat. Diese Spitznamen, die traditionell für Kleinkinder verwendet werden, machen die Künstlerin konsumierbar und vermitteln die Ungleichheit der Machtverteilung. Die Strukturen der Stapel sind absichtlich instabil. Hyeejin Bae verweist dabei auf was auf vorherrschende Dynamiken im Rahmen von Konsum und sexuellen Stereotypen und lädt die Unterlegenen dazu ein, sich zu wehren und zurückzubeißen.
Ironischerweise sind Hyeejin Baes Skulpturen strikt nicht partizipatorisch: Den Betrachtenden ist es untersagt, Hand an sie zu legen. Die Versuchung, zu kosten, zu knacken, zu stochern oder gar zu lecken, muss vor jedem einzelnen Werk ständig unter Quarantäne gestellt werden. Dieser sorgfältige Mechanismus erinnert an einen Smartphone-Bildschirm, der gleichzeitig einlädt und abweist. Wenn man der Verführung nicht nachgehen kann, wird sie zur Reflektion – das heißt, wenn wir versehentlich den Bildschirm ausschalten und unsere Gesichter vor unseren eigenen Augen, unheimlich verdunkelt, auftauchen.
Text: Phil Cai
AUSSTELLUNG
08.11. – 08.12.2024
Di - So: 14 - 19 Uhr
Eintritt frei
ERÖFFNUNG
07.11.2024
19 Uhr
KÜNSTLERPORTRAIT
Hyeejin Bae