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Phantom Horizons
Francois Lemieux, “Blind Notes on Fascism and Picking Locks and Lemons” (Detail), 2022, Courtesy der Künstler
Allein die Verdrängung produziert kein Geheimnis. Erst die nach innen gerichtete Suche – die intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst und dessen Positionierung in der Welt – ermöglicht eine neue Zeichensprache. Die Zeichnungen von François Lemieux (*1979 in Québec, Kanada) sind das Erzeugnis eines solchen In-sich-Hineinblickens. Gespeist von Bildern politischer und gesellschaftlicher Gewalt, vermittelt über Fernsehen, Internet, Soziale Medien und Zeitschriften, häuft sich in unserem kollektiven Gedächtnis ein Archiv der Grausamkeiten an. Dort beeinflusst es auch die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, wie wir handeln und wie wir miteinander umgehen. Mit verbundenen Augen lässt Lemieux all die Erinnerungen an die Bilder, die allgegenwärtig auf ihn einprasseln, zeichnerisch auf das Papier oder direkt auf die Wand bluten. Dabei entstehen Gebilde, die sich mal mehr, mal weniger konkret bestimmten Ereignissen zuordnen lassen. Oftmals ergeben sich so auch abstrakte Psychogramme, deren nervöse Strichführung die Schrecken lediglich erahnen lassen. Dem Künstler geht es dabei nicht um eine reine Reproduktion dieser medialen Bilder, sondern auch um die Entwicklung einer neuen, subjektiven Formsprache für das Propaganda-Vokabular faschistischer Regime.
In einer skulpturalen Sound-Arbeit lässt François Lemieux einen Orgel-Akkord über eine Rohrkonstruktion durch den Raum schwingen. Beim Hören des Klanges, der nicht melodiegebunden ist, fühlen wir uns in die sakrale Situation eines Gottesdienstes versetzt – eine Zusammenkunft von Menschen mit dem Zweck, mit Gott in Verbindung zu treten, mit ihm Gemeinschaft zu haben, Opfer zu bringen, Sakramente zu empfangen oder auch eine auferlegte religiöse Pflicht zu erfüllen. Oft folgt ein Gottesdienst einem Ritus, der durch einen überlieferten Ablauf oder durch Festsetzung durch eine geistliche Instanz vorgegeben ist, wie etwa die Liturgie der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirchen oder die evangelische Agende. Bei entsprechender Zielsetzung werden jedoch auch spontane oder wenig strukturierte Zusammenkünfte als Gottesdienst bezeichnet. Eben jenen entspricht die Situation der Besucher*innen in Lemieux’ Ausstellung. Durch die „himmlischen“ Klänge des Orgel-Akkords wird der Ausstellungsraum zu einem heiligen Ort. Ziellos bewegen wir uns in ihm, auf der Suche nach einem Gegenstand der Andacht, und man bemerkt: Der Klang der Akkorde verändert sich je nach Standpunkt unseres Körpers im Raum. Lemieux verweist mit dieser skulpturalen Sound-Arbeit auf die Grenze und den Schwellenbereich zwischen subjektiver und kollektiver Erfahrung. Liturgie und Propaganda produzieren Bilder und Ikonen, die sich durch eine nach innen gekehrte Wahrnehmung und Auseinandersetzung zu einer ganz individuellen Sprache transformieren.
Francois Lemieux ist Stipendiat des Conseil des arts et des lettres du Québec, des Ministère des Relations internationales et des la Francophonie du Québec und der Vertretung von Québec in Berlin.
AUSSTELLUNG
30.09. – 23.10.2022
Di - So: 14 - 19 Uhr
Eintritt frei
ERÖFFNUNG
29.09.2022
19 Uhr